Ihr werdet es vielleicht nicht vermuten, da Evas engstirnige Art eigentlich erwarten lässt, dass sich ihr Horizont maximal bis nach Hinterdupfing beschränkt, aber sie ist ein wirklich sehr bereister PC!
Immerhin ist sie ja ein Laptop. Ok, also alle Funktionen
einen Laptops sind nicht mehr gaaanz so vorhanden (Zitat: „Was kann ich denn
dafür, wenn du meinen Akku so runterschranzst???“). Jedenfalls ist Evas
Akkulaufzeit auch nicht mehr das, was sie mal war („Wie bitte?!“). Und ja, das
ist mein Fehler, aber eine Stunde Arbeit ohne Ladekabel ist schon drin, wenn
man ihr das Internet und Ton wegnimmt, nur ein Programm verwendet, den
„Silent“-Modus einschaltet, die Bildschirmhelligkeit reduziert und natürlich
ein paar simple Voodoo-Rituale zur Huldigung des Akku-Gottes praktiziert.
Heute (als ich dies schrieb) fahren Eva und ich nach Passau und das ganz
ungewöhnlich für uns: mit dem Zug! Ich muss zugeben, so bequem reise ich
selten. So billig Mitfahrgelegenheiten (MFG) und Busse sind, so anstrengend ist
das Reisen mit Ihnen.
Hier ein kurzer Abriss zum Thema MFG:
Am Anfang meiner Stuttgartzeit war ich begeisterte
MFG-Nutzerin. Eva blieb zwar meist, um allen anderen Insassen des Autos nicht zu zerquetschen, in
ihrer Tasche („Ich hab vielleicht zugenommen, aber SO FETT bin ich dann doch
nicht!!!“).
Das Schöne an MFGs ist die Gesellschaft.
Wer vor allem anfangs fehl am Platz ist in der neuen Stadt
und manchmal doch nach sozialen Kontakten lechzt, ist hier gut aufgehoben.
Allein die Tatsache, dass die MFG ja aus der selben Gegend wie man selbst,
bringt die Konversation ins Laufen und man kann endlich mal den Frust über die
neue Heimat mit einer lustigen MFG-Lästerrunde zu genüge abbauen. Aber Achtung:
Wenn Einheimische im Auto sind, die eure Heimat nur kurz besuchen, dann lasst
das Lästern lieber. Ihr wollt ja keinen schlechten Eindruck über euer
Heimatvölkchen bei ihnen hinterlassen.
Das Beschissene (man vergebe mir die Wortwahl) an MFGs ist
die Gesellschaft.
Hierzu eine kurze Anekdote: Wie bereits erwähnt, WAR ich
begeisterte MFG-Nutzerin. Das änderte sich langsam, aber stetig, als mir die
Gesellschaft zu viel wurde und ich besonders emotional das Alleinsein nach dem
Heimatbesuch benötigte. Jedoch geht „Alleinsein“ auch in MFGs. Ist zwar nicht
besonders nett, der Person gegenüber, die teilweise wegen der Konversation
extra eine MFG-Anzeige geschaltet hat, aber wird natürlich geduldet. Man kann
ja niemanden zwingen zu reden. Vor allem bei Nachtfahrten ist das absolut ok,
da der Fahrer sich konzentrieren muss.
Jedenfalls spielte ich „damals“ (ist ja jetzt nicht sooo
lange her) mit dem Gedanken auch mal andere Verkehrsmittel zu testen, als ich
auf Christian traf.
Christian, Mitte 40, Chef einer großen Stuttgarter
IT-Abteilung, hagerer Kerl mit krass hervorstehenden Augen (Ich vermutete, dass
er unter Krebs litt, da große Augen bei Krebspatienten ein deutliches Merkmal
auf die Härte der Krankheit ist. Es stellte sich heraus, dass er tatsächlich
vor Kurzem einen Krebs überwunden hatte.). Christian war meine Montags-MFG. Er
klang sehr nett am Telefon und verlangte einen adäquaten Preis für die Strecke
Nürnberg-Stuttgart. Neben mir, nahm er auch noch einen Luft- und
Raumfahrtstudenten mit.
Nun ja, Christian verhielt sich irgendwie komisch. Er sprach
auch komisch. Doch wie wir Deutschen eben sind, waren wir beiden Mitfahrer zu
schüchtern zu fragen, was denn los mit ihm sei. (Dumm eigentlich. Immerhin
vertrauen wir unserem MFGs unsere Sicherheit an… :D) Im Nachhinein bin ich
wirklich dankbar, dass ich an diesem Montag noch dringend einen Vortrag für
meine Softskills-Vorlesung vorbereiten musste, den ich noch am selben Tag
halten sollte. So saß ich hinten auf der Rückbank und tat beschäftigt (war ich
teilweise auch), aber eigentlich hörte ich belustigt dem Gespräch vor mir zu.
Denn wir mussten ihn gar nicht nach seinen „Leiden“ fragen.
Das tat er schon von ganz allein. Er erzählte uns von seinen besonderen Gaben,
die er sich durch Jahrelanges Training erarbeitet hatte: die Fähigkeit am
Telefon, die Aura eines Menschen zu bestimmen, die Fähigkeit, den „Wasserstand“
und dessen „Wasserverhalten“ (Ja, wann er/sie aufs Klo geht) anhand der Farbe
der Augenringe zu erkennen, die Fähigkeit, sich in eine Trance zu versetzen,
die ihm den Weg zur höheren Energie ebnet, nachdem er sich 2 Stunden lang an seinen
Beinen aufgehängt hatte, etc…
Und wenn ihr denkt, das war schon freaky, dann habt ihr euch
geschnitten!
Christian hatte offenbar während dem Krankheitsverlauf
verzweifelt nach einer Heilung gesucht und war auf einen „Guru/Heiler“ in einem
rumänischen Asylantenheim Nähe Fürth gestoßen.
Dieser Guru war sein Messias und
für mich, die ja mit Heilkunde bzw. auch einem dezenten Maß an Esoterik
aufgewachsen ist, war der Kerl, der genialste Hochstapler aller Zeiten gewesen.
Mr. Ich-wohne-im-Asylantenheim-um-näher-an-der-Jugend-mit-ihren-Problemen-zu-sein
behauptete eine Heilkunde aus Japan zu praktizieren, die er ganz simpel aus dem
Grundwissen der traditionellen chinesischen Medizin, div. japanischen
Ehrenkodizes, Aspekten des christlichen Glaubens und (Achtung! Achtung!)
Senioren-Yoga zusammengestellt hatte.
Alles in Allem: das Beste aus allen Gebieten.
Und Christian fand darin seine geistige Heilung. Schön,
eigentlich. Aber wie mit jeder Religion das so ist: Sie sind wie Schwänze. Es
ist ok eine zu haben und stolz darauf zu sein, aber wenn man sie Wildfremden
ins Gesicht hält, ist das nun mal nicht ok.
Gegen Ende der Fahrt traute ich mich dann doch noch, seine
Ansichten zu kommentieren. Jetzt war’s ja egal ob er mich rauswarf
(*grins*).
Dennoch hielt ich mich eher
bedeckt und endete meinen kleinen Monolog auf den billigen Plätzen (Rückbänke
sind tatsächlich unbeliebt bei Mitfahrern) mit meinem Lieblings-Einstein-Zitat:
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Ich wurde nicht rausgeworfen. Ich zahlte meine Fahrt und sah
vom anderen Gleis aus, wie Christian (von da an „der Mitfahrprediger“), meinem
Leidenskollegen noch seine Leibesübungen, die ihm ja die Gesundheit gerettet
hatten.
Schmunzelnd stieg ich in die nächste S-Bahn und wählte die
Nummer meiner Großmutter.
„Hallo?“
„Hi, hier ist Deddi. Sag mal wusstest du eigentlich, dass
deine Yoga-Übungen, die morgens um 8 im Seniorenfernseh kommen, Krebs heilen
können?“
Ich habe noch nie so lange und so laut in der S-Bahn gelacht
wie an diesem Montagmittag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen